17/18/19 Juni 2016
Seit 2010 räumen alle zwei Jahre unter der Initiative von Frau Jutta Kraak 9 Einwohner von Honau ihre Keller, um Platz zu lassen für die Kunst. Es ist die Gelegenheit für eine dreitägige kulturelle Feier, bei der sich Dorftraditionen, klassische Kunst, z.B. im Hauffmuseum, sowie gegenwärtige Kunstströmungen vereinigen.
Zu besuchen sein wird auch die Olgahöhle, die 1884 die erste elektrisch beleuchtete Schauhöhle Deutschlands war. Honau war in der Avantgarde bei unterirdischen Lichtinstallation...!
Um ein Unikat zu bleiben, wird die „Kunst im Tuffsteinkeller“ jedes Mal mit einem wechselnden Kurator durchgeführt. Dieses Jahr fiel die Wahl auf den französischen Künstler Serge Le Goff.
Ein umfangreiches Beiprogramm bietet auch Kunst über Tage, wie Skulpturen, Malerei, Fotografie, Konzerte und zwei Projekte mit Asylsuchenden. Natürlich kommt auch das Kulinarische nicht zu kurz.
Das Kernprogramm:
Ausgestellte Kunst „gehört“ dem Zuschauer, aber der Schöpfer will oft eine Kontrolle über sein Werk behalten. Der Titel einer Arbeit, ebenso wie ihre Präsentation, orientieren und dirigieren, führen also den Betrachter in eine vom Künstler, Redner oder Kurator definierte Richtung. Keller sind keine Unterführung, aber die Kunst öffnet Wege, und die Präsenz der Künstler kann das Publikum unter Führung setzen. Wer will, kann geführt werden in diesem 3-tägigen Ereignis „Kunst im Tuffsteinkeller“, jeder Ort hat seinen Dirigenten.
Kann die wechselnde Leitung zu einer Verschiebung der Betrachtung führen?
Der Samstag wird der „Tag der Versetzung“. Jede Stunde werden die Künstler rotierend die Keller wechseln und im Keller eines Kollegen Kontakt mit dem Publikum aufnehmen. Der Blick und die Gedanken eines Künstlers über und in dem Werk eines anderen werden den Austausch mit den Besuchern bereichern.
In die Irre geführt wird man vielleicht nicht. Oder?
Am Sonntag sind die KünstlerInnen wieder in ihren eigenen unterirdischen Installationen.
Zur Vorbereitung der "Versetzungs-Performance" besuchten sich die Künstler gegenseitig in ihren Ateliers, diskutierten miteinander und lernten die Arbeitsweise der Kollegen kennen.
Die KünstlerInnen in der Reihenfolge der Kellernummern:
Serge Le Goff, Stephan Potengowski und Sirke Heid, Björn Voigt, Jan Groeneveld, Ruth Stützle-Kaiser, Anke Zapf-Vaknin, Gabriele Eberspächer, Robin Broadfoot,
Die Lichtinstallation und Raumgestaltung von Serge Le Goff befasst sich im Kirchenkeller indirekt mit dem Zitat des Heiligen Thomas „Ich glaube, was ich sehe“. Ist wirklich glaubhaft, was die Medien, die Wissenschaft, die Religionen, die Werbung oder ganz einfach ein Katalog uns präsentiert? Muss gezeigt werden was erwartet wurde, nur weil da Erwartungen waren? Ist der Künstler verbunden mit seinem Versprechen? Oder verpflichtet das Versprechen nur denjenigen, der daran glaubt?
Eine skurrile Assemblage inspiriert von DEM* aktuellen Medienereignis spielt mit diesen Fragen und gibt nicht unbedingt wirklich eine Antwort.
*(Die Europa-Cup Fußball 2016)
Eine Herangehensweise bei Rauminstallationen der beiden Künstler Stephan Potengowski und Sirke Heid ist die offene Auseinandersetzung mit Orten und deren Gegebenheiten. Das spielerische Aufgreifen von Geschichten ergibt individuelle ortsspezifische Arbeiten. So entstehen Installationen, die sie am Ende selbst überraschen.
Bei den Kellerbesichtigungen im Vorfeld von Kunst im Tuffsteinkeller wurden sie beim Rundgang im Keller Schulstraße 26 auf den Hinweis des „legendären Partykellers“ aufmerksam. Was hatte es damit auf sich? Er wurde in den 60‘ und 70‘ Jahren von Honauer Jugendlichen als Treffpunkt genutzt, sie feierten dort regelmäßig Partys und er wurde immer nur „Raum“ genannt.
Die beiden Künstler haben durch einen Aufruf Zeitzeugen, die damaligen Gründungsmitglieder, ausfindig machen können. Bei mehreren Treffen wurde in Erinnerungen geschwelgt und die damalige Einrichtung besprochen. Den Kellerraum hatten die 14-18jährigen nach ihrem Geschmack und Möglichkeiten eingerichtet, z.B. eine Bar mit Plattenspieler und eine Tanzfläche mit Lichtorgel. So konnte zur Musik von Deep Purple, The Who, Bee Gees usw. getanzt (nur Stehblues) oder im Separee mit Rotlicht abgehängt werden. Getrunken wurde am liebsten Quenzer Bier. In Zusammenarbeit mit ihnen haben Potengowski und Heid den Partykeller für das Wochenende der Kunsttage rekonstruiert und somit wieder zum Leben erweckt.
Eine Rose für Fräulein Fifi ist eine speziell entwickelte Erotikmaschine, für einen der seiner verehrten Freundin in regelmäßigen Abständen einen Gefallen tun möchte, selber aber ganz und gar nicht poetisch veranlagt ist und in solch prekären Dingen ohnehin antriebsarm ist.
Hugh Hefner (Playboy) hat sich schon so ein Ding bestellt.
Beim Betrachten des unruhigen und in metronomisch genauen Taktschlag gefan- genen Fräuleins fragt sich wohl so manche, ob es für sie nicht doch interessanter wäre, lieber wieder einmal zusammen mit ihrem Verehrten unter die Dusche zu stehen, anstatt alleine immer wieder von neuem nasse Füße zu bekommen! Frau von der Leyen hat so eine schon bestellt!
Ein praktisches Hausgerät für einsame Abendstunden, um in die Kleider träumend und seufzend einzutauchen, ohne dabei sich selbst begrapschen zu müssen. Dies edle Stück sollte in keiner Abendgarderobe fehlen!
Jan Groeneveld ist als Handwerker und Künstler tätig. Seine Arbeiten umfassen die Bereiche Lichtkunst, Radioproduktionen, Skulpturenbau, Textarbeiten, Architektur, ökologische Bauobjekte, regenerative Energien und soziale Projekte. Was wie ein buntes Sammelsurium erscheinen mag, ist in Wirklichkeit eine Vielfalt, die das Leben überhaupt erst lebenswert macht. Es sind diese grenzüberschreitenden Möglich- keiten, die seine Werke prägen. Sie orientieren sich an der Philosophie des Realismus und strukturieren sich an den Vorgaben der Natur.
Seine Arbeit im Honauer Untergrund erforscht die Räume zwischen dem Stillstand und der Bewegung. Während die Tuffsteine, als die vielleicht lebhafteste Form innerhalb der versteinerten Welt, zu einer Projektionsfläche werden, für ein scheinbar statisches Licht, das gerade laufen lernt. Oder hat es gerade aufgehört sich zu bewegen? So wie auch der Tuff als eine versteinerte Form des Organischen erscheint? Dass die daraus entstehende Lichtkunst als psychedelisch empfunden wird, ist kein reiner Zufall und nur scheinbar ein Gegensatz zum Realismus, aus dem heraus diese Arbeit wächst. Es entstehen optische Kreisläufe, die die Grenzen zwischen Licht, Objekt und Architektur auflösen, um mittels feiner Nuancen die emotionale Ebene auszuloten, auf der sich die Diskrepanzen zwischen den Zuschauenden und dem Kunstobjekt auflösen. Wer gerade noch davor stand, ist plötzlich mittendrin und spürt die Relativität der Materie.
Ein dichtes Gespinst von Bedeutungen umgibt die Installation `Ada Lovelaces Robe ́, gerade so wie die Gespinste der Spinnen, die vielleicht in diesen Kellern wohnen. Die Spinne taucht in vielen Mythologien auf, eine der bekanntesten ist wohl Ariadne, die den Lebensfaden spinnt und als Spinne dargestellt wird. Nun wurden die Arbeiten des Spinnens und Webens größtenteils von Frauenhänden getätigt, soweit ist die Geschich- te bekannt, dass jedoch die Entstehungsgeschichte der Digitalität eng mit dem Weben und mit einer Frau verwoben ist, weit weniger.
Ada Lovelace wurde 1815 in London geboren und schrieb 1843 das erste Programm für einen Archetyp unseres heutigen Computers. Kurz davor wurde von Jacquard und ande- ren der Webstuhl durch den Einsatz von Lochkarten revolutioniert. Dieser Webstuhl gab die Initialzündung für den ersten durch Lochkarten gesteuerten Computer mit Namen `Analytical Engine ́. Die Lochkarte nahm vorweg, wofür Multimedia heute steht. Sie wurde für gewebte Muster und Bilder, für Musik, und schließlich für Rechnen und Stati- stik eingesetzt. Ada Lovelace wusste um das zukünftige Potential dieser revolutionären Entwicklung und schrieb:„The Analytical Engine weaves algebraic patterns just as the Jacquard loom weaves flowers and leaves.“
In der Installation `Ada Lovelaces Robe ́ wird der Zusammenhang von Weben und Web aufgegriffen. Das Schnittmuster eines Kleides aus der Zeit von Ada wird an Fäden im Kellerraum verspannt. Auf dem Kleid fließt ein Strom von Einsen und Nullen herunter, umgibt dabei die Besucher, stoppt kurz und beginnt von neuem. Wurden die Menschen durch die Gewebe des Jacquardwebstuhles noch schützend eingehüllt, verstricken wir uns heute immer mehr in der digitalen Welt und geben unsere persönlichsten Dinge schutzlos im Web preis.
Wie sehen wir? Wie nehmen wir wahr? Welche Rolle spielen dabei
unsere Werte und Glaubenssätze, unsere Erfahrungen und semantisch definierten Kategorien? Und wer macht diese Kategorien eigentlich? Um diese Fragen kreisen die prozessorientierten, meist transmedialen Improvisations-Projekte der Künstlerin Anke Zapf-Vaknin.
In dieser Installation schlägt sie eine Brücke zwischen dem Keller und dem Unterbewusstsein des Menschen. Vor allem während unserer Kindheit wird hier der Grundstein unseres Selbstverständnisses für ‚richtig’ oder ‚falsch’ und für vieles Andere gelegt. (- Ganz besonders auch für ‚rosa’ oder ‚hellblau’. Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein anderes Mal erzählt werden.)
Und zugleich wird durch diese Grundsteinlegung auch unser Sehen beeinflusst. Der Philosoph und Phänomenologe Bernhard Waldenfels unterscheidet zwischen zwei Arten des Sehens: dem ‚Sehenden Sehen’ und dem ‚Wieder-erkennendem Sehen’. Als Sinnbild für den ‚wieder-erkennenden’ Blick wählte die Künstlerin einen Zaun, in welchen verschiedenartige Strukturen integriert sind.
Je nach Struktur, durch welche der Besucher hindurchschaut, verändert sich wie durch einen Filter sein Blick auf das, was hinter dem Zaun zu sehen ist. Was genau das sein wird, bleibt im Sinne der improvisierten Kunst noch offen.
Mit dem Mittel der Improvisation wehrt sich die Künstlerin bewusst gegen die ‚eine’ Botschaft. Ihre Projekte sind vielschichtig gedacht und nie ganz zu Ende erklärt. Sie nutzt die Kunst um der Nicht-Linearität des Lebens Ausdruck zu verleihen.
…. „du brauchst keine Angst zu haben, dort ist niemand“, sagte die Mutter.
Also ging sie die harte, kalte Steintreppe hinab, Stufe für Stufe, öffnete langsam und vorsichtig die Kellertüre und hielt den Atem an, als sie in die Dunkelheit sah. War da nicht ein Geräusch? Schauten sie nicht hundert Augen an? Augen, die sie sehen konnten im fahlen Gegenlicht des Flurs, die jedoch ihrem Blick in der tiefschwarzen Dunkelheit verborgen blieben. Und doch spürte sie ihre Präsenz. Ihr schlug das Herz bis zum Hals, als sie den Drehschalter des Lichtes betätigte. Gleich würden sich Kellergewölbe und –wände im gelblichen Lichtschein der nackten Glühbirne materialisieren und die Wesen, denen die hundert Augen gehörten, sich ihrem Blick nicht länger verbergen können.
Sie hörte das Klicken des Lichtschalters, es wurde hell, doch da war – nur sie.
Realität oder Traum? In diesem unterirdischen Raum herrscht zwar Enge, aber nur wenn die Besu- cher darauf beharren, in ihrer Wahrnehmung in der 3. Dimension zu bleiben, denn Raum für Phantasie ist unendlich. Experiment mit Bewusstseinserwei- terung durch Bild, Licht, Kinetik und Ton.
Mit einer Kombination von Motoren, Linsen, LED- Strahlern, Tonerzeugern und anderen mechanischen und elektronischen Teilen entsteht ein „Laboratorium“ aus kinetischen Objekten, die bunte Motive auf das Tuffsteingemäuer projizieren. Die Bauteile sind teilweise zusammengebaut aus alten Geräten, Industrieschrott und Fahrradteilen.
Elke Karnik arbeitet an ihrem eigenen Märchen für Keller 9, dem Keller unter dem Hauff-Museum.
Die Installation mit Objekten + Projektion spielt mit dem Vertrauten und dem Unvertrauten. Leblose Wegwerf- gegenstände werden transformiert und bekommen ein neues Leben. Die Kellertiere.
„Wenn ich an Keller denke, erinnere ich mich immer zuerst an unseren alten Gewölbekeller im Elternhaus. Dort wurde ich als Kind oft hinunterge- schickt, um dem Vater einen Most zu holen. Immer war es unheimlich, aber zugleich auch aufregend. Hoffentlich begegne ich keiner fetten Spinne. Fasziniert beobachtete ich die Kelleras- seln, liebte die modrigen Gerüche und altes Zeug, das nur dort zu finden war. Als ich Anfang des Jahres Lichtenstein- Honau mit seinen Kellern und die nahe Umgebung besuchte, wurden Kindheitserinnerungen wieder wach.“