ist der Name, der 1991 dem damaligen Künstleratelier im Schleifmühleweg in Tübingen gegeben wurde nach dem Einzug der Künstlerin Gabriele Eberspächer. Die Namensidee kam durch den Titel der Ausstellung von Serge Le Goff im Café Schiller in Albstadt-Ebingen im Jahr 1990 mit dem Titel „Kunst-Stoff“. In dieser Hochburg der Textilindustrie wurden Arbeiten aus Stoff und Kunststoff präsentiert.
Zum Namen Kunst-Stoff .
Die Klangendung: off : Le Goff Kunst-Stoff
und Le Goff hat früher gemacht Kleinplastiken aus... Kunststoff. Der Zusammenhang ist klar: Plastik ist Kunststoff. Aber ein Bindestrich wurde im Wort platziert um zu trennen und zu verbinden den „Geist“ und die „Materie“ .
Wir machen Kunst und die Kunst ist unser Stoff.
Lieber Serge, liebe Freunde von Serge, liebe Künstler, liebe Gäste,
salut et bienvenues, ich begrüße Sie alle von Herzen im wunderbar verwandelten Foyer des Schwäbischen Tagblatts,
und da ich selbst beim Schwäbischen Tagblatt arbeite, fast so lange,wie ich Serge kenne, darf ich auch sagen, im Namen des
Schwäbischen Tagblatts.
Die Geschichte, die ich Ihnen erzählen möchte, trägt den Titel „Von der Verwandlung des kleinen Soldaten in einen
bunten Vogel“, es sind sozusagen zwei Andersen-Märchen darin enthalten, aber das tut nichts zur Sache, denn
Dänemark gehört, soviel ich weiß, zu den Ländern, die das künstlerische Werk von Serge nicht befruchtet haben, anders als
Japan. Aber über japanische Märchen weiß ich leider nichts.Die Geschichte beginnt irgendwann im
Frühsommer des Jahres 1975, und betrachten Sie es bitte nicht als Eitelkeit, wenn ich mit mir anfange. Ich wohnte damals am Ende eines
Studiums, das heute als Langzeit betrachtet würde, damals aber eher kurz war, mit zwei anderen Studentinnen, Anette
und Martha, in einer Wohnung in der Tübinger Haußerstraße.
Wohngemeinschaften von Frauen waren noch nicht so üblich, zumal es – anders als heute – in Tübingen nur sehr wenige
Vermieter gab, die überhaupt an mehrere Studenten gleichzeitig vermieteten. Wir fühlten uns also zu Recht als Pionierinnen, aber gleichzeitig fiel
uns Tübingen schon auf den Deckel, und wir wollten eigentlich nix wie weg. Anette hatte sich für ein
Jahr als Teaching Assistant nach Leeds in England verpflichtet, und ich war auf dem Sprung nach Honduras, um die Agrarreform und den Kampf der
Campesinos für gerechte Landverteilung zu studieren. Aber natürlich hatten wir kein Geld und mussten deshalb unsere
hart erkämpften Zimmer untervermieten. Wir hängten also Zettel ans Schwarze Brett in der Mensa. Eines Tages stand
ein schmächtiger, schüchterner und sehr französisch sprechender junger Mann vor der Tür und stellte sich vor als Serge Le Goff. Er
war gerade aus dem französischen Militär, aus der Garnison in Tübingen entlassen worden, aber anders als alle anderen Soldaten, die möglichst schnell nach Hause wollten, war er Tübingen ein bisschen verfallen, und er suchte eine
vorübergehende Bleibe. Das passte gut, Serge konnte mein Zimmer haben, für das andere fand sich ein Ire, und in Honduras und Leeds
bekamen wir Briefe von Martha, in denen so etwa stand, dass die jungen Männer „anstellig“ seien.
Nun, um die Sache abzukürzen, Serge begann nach dem Aufenthalt in unserer WG seine Odyssee duch den Tübinger
Vermieter- und Zimmermarkt, aber er blieb uns treu als Freund, und wir beobachteten neugierig, wie er sich durchschlug.
Wenig später begann ich fürs Schwäbische Tagblatt zu arbeiten, als freie Mitarbeiterin, und tatsächlich, einer
meiner ersten Termine war eine Kunstausstellung, auf der Serge sich mit einer Künstlergruppe namens Teegarten
vorstellte, mit dem Japaner Koho Mori und anderen. Serges Werke waren witzige und absurde kleine Material-Collagen.
In Erinnerung ist mir noch der „feministische Bierkasten“, lila besprüht, mit einem Milchkarton darin.
Etwa um diese Zeit wurde auch Monsieur Professeur Docteur Furibon Débile geboren, die Kunstfigur
eines französischen, aber irgendwo auch typisch universitätsstädtischen Akademikers, der jede Menge Staub aufwirbelt, sich aber in der Menge seines
Materials ständig verzettelt und verliert. Serge hatte sich für die Kunstform
Lebenskunst entschieden, er selbst war der Künstler und das Objekt, das war nun nicht mehr auseinanderzuhalten. Tübingen war seine Bühne und
sein Atelier, Furibon Débile saß mit einer alten Schreibmaschine auf dem Marktplatz und ließ Gedichte schreiben, oder er verwandelte seine winzige Studentenbude in eine Privatgalerie, in der Strom führende blanke
Kupferdrähte quer durch den Raum führten und der Stuhl nicht auf dem Boden stand, sondern von der Decke hing. Die Betrachter und Unterstützer
seiner Kunst wurden zu Komplizen einer permanenten (harmlosen) Konspiration, denn Serge brauchte in der Öffentlichkeit den Überraschungseffekt, aber auch die lokalen Medien. Er
war insofern teilweise ein Medienprodukt, also ein sehr modernes Kunstprodukt.
Und natürlich brauchte er die Medien nicht nur zur Selbstdarstellung, sondern auch zu seiner Verteidigung. Denn
einer wie er eckte nicht nur wegen seiner schrägen, neonbunten Verkleidungen an, sondern auch, weil er die Liebhaber von Ruhe, Ordnung
und Gleichförmigkeit an einer empfindlichen Stelle kitzelte. Es gab Krach mit Vermietern, es gab absurde juristische Auseinandersetzungen, zuletzt mit dem Finanzamt, das Serge als Künstler nicht anerkennen
wollte, weil er mit seiner Kunst zu wenig verdiene. Aber bitte, er stand doch stets als Künstler in der Zeitung, und nie als
Hausmeister oder Ausfahrer einer Buchhandlung oder mit anderen Jobs, mit denen er seinen Lebensunterhalt verdiente. So lieferte
Serge auch uns, den Journalisten, immer wieder Stoff für kleine Geschichten, die immer einen höheren Gegenstand hatten: den unnötigen Ballast, den der Mensch sich selbst ins Leben schaufelt, das an sich so tänzerisch leicht sein
könnte.
Es gibt hier berufenere Menschen, die Serge Le Goff als Künstler interpretieren können, aber ich
möchte noch auf einen Zug seiner Persönlichkeit hinweisen, der bei seinem manchmal provokanten Auftreten leicht übersehen wird, eine Tugend, die
heute fast ein bisschen altmodisch wirkt: Serge ist nämlich, abgesehen von seiner Liebenswürdigkeit, ein außergewöhnlich treuer Mensch. Auch wenn er es Tübingen immer wieder mal geben muss (und wenn er immer wieder mal flüchten
muss), ich kenne kaum einen begeisterteren Tübinger als ihn. Aber was ist das Ende der Geschichte? Sollen wir zulassen, dass sich der
Paradiesvogel in ein bürgerliches Mitglied dieser Gesellschaft verwandelt? Nein, das wollen wir nicht, denn der
Paradiesvogel pickt in allen von uns und begehrt nach Freiheit. Deshalb
freuen wir uns, wenn wir ihn draußen auf der Straße sehen.
Ulrike Pfeil
Stellvertretende Chefin vom Dienst
Schwäbisches Tagblatt.
Begrüßungsrede des Ausstellung: Lebens-Lauf – Teegarten.
7. bis 30. November 2005 im Foyer des Schwäbisches Tagblatt, Tübingen.
Ich habe vor über zwanzig Jahren schon für ihn eine Aktion kommentiert. Ja, so lange kenne ich ihn und so lange
staune ich über die Wirkung, die er mit seinen Aktionen erreicht. Eine möchte ich hier kurz darstellen. Serge Le Goff und sein
Freund Koho Mori, ein japanischer Künstler, es ist wichtig dies hier zu betonen, haben einen Monat lang auf dem Holzmarkt (in
Tübingen) an Wochentagen ab 15
Uhr dieselbe Kunstaktion durchgeführt. Koho Mori zeichnete mit der Kreide diverse Symbole auf den Boden, welche dann von Serge Le Goff, der ganz bizarr verkleidet war, sofort mit viel Wasser weggewischt
wurden. Um Punkt 16 Uhr beendeten sie die Aktion und warfen gelegentlich Pfennigstücke ins Publikum. Die Uhrzeit 16 Uhr begründeten sie mit der
Tatsache, dass danach die Werktätigen frei hätten, allerdings die Aktion nicht mitbekommen sollten, weil sie von Kunst nichts
verstünden. Proleten seien halt ungebildet. Es ist unglaublich, wie viel Aggressionen jeden Tag bei dieser Aktion,
seitens von biederen Passanten
geäußert wurden. Es kam gar zu körperlichen Attacken. Aber die interessanteste Reaktion zu dieser Aktion kam in
meinen Augen gar nicht aus dem konservativen bürgerlichen Lager, sondern aus der Crème de la Crème der linken studentischen Bewegung. So bekam ich
diese Reaktion mit. Ich saß bei schönem Wetter mit einigen Vertretern dieser revolutionären Avantgarde auf dem Marktplatz, als
Koho Mori und Serge Le Goff vorbei liefen. Da sagte einer ganz spontan und mit breitem schwäbischen Akzent „Die zwei sollte man in ihre Heimat schleunigst zurückbomben, sie beleidigen die Arbeiterklasse“. Es war
auf vielen Ebenen schockierend. Zunächst der offene Rassismus, zweitens die extreme Gewaltvorstellung und drittens die unglaubliche Ungehobeltheit,
welche in einer groben Ironie eine Beleidigung identifizierte. Nun war vielleicht nicht nur die politische Haltung meiner Freunde Auslöser dieser heftigen Reaktion, denn mit Geldstücken herumwerfen ist auch nicht unbedingt des Schwaben
Lieblingsbeschäftigung. Serge Le Goff und Koho Mori hatten mit einfachsten Mitteln es geschafft, alle zu
provozieren, die Biederen und die Linken, die Jungen und die Alten, Frauen und Männer. Schon deswegen verzieh ich meinen linken Freunden ihre Reaktion und fand das Phänomen Serge Le Goff umso interessanter. Ich sage
Phänomen, ich könnte ihn auch Performance-Artist, Inszenierer, Lebenskünstler, aber auch Paradiesvogel und Enfant terrible nennen, so wie es in der
Zeitung von heute steht. Es stand noch mehr in der Zeitung: „Der Selbstdarsteller“, „der Erklärer des Nichts“ und so weiter.
Helmut Hornbogen vom Tagblatt nannte ihn „die inkarnierte Kunstgestalt“ oder „der Aktions-
und
Allroundkünstler“ und nicht zuletzt „der bürgerschreckende Performancer“. Alle Bezeichnungen treffen mehr oder
weniger auf Serge Le Goff zu, aber allesamt betreffen sie nur die Oberfläche, das Sichtbare, das Spektakuläre an ihm. Er macht Zoff,
er ist bunt, er ist provozierend und amüsant, er animiert zu Diskussion: was ist Kunst? Darf man das Recht auf Faulheit für sich beanspruchen?
Wie kann man als bekennender Hetero sich Rosa anziehen? Das alles ist die Oberfläche von Serge Le Goff.
Ich sehe in Serge Le Goff etwas anderes. Er ist die Person, bei der sich unzählige kulturelle Ebenen treffen und sich zu einer neueren interessanten Mischung vereinen. Der Franzose und der Schwabe, der Soldat und der
Friedensaktivist, der Literaturwissenschaftler und der Goa-Freak, der begabte Koch und der Mensagänger, nicht zuletzt der nicht
Malen und Zeichnen kann aber Künstler sein will. Er ist Träger einer hybriden Kultur, hybrid benutze ich im positiven Sinn des Wortes. Und wie alle
Hybriden ist er zerbrechlich und angreifbar. Aus diesem Grund braucht er eine schützende Oberfläche, genau die Fläche, die wahrgenommen wird. Vielleicht ist deswegen für ihn Angriff zur besten Verteidigung geworden, und deswegen also muss
es bei ihm schrill, laut und anders sein. Aber vielleicht sucht er nur im Dickicht der Laute, der Farben und der Effekte nach Wegen aus der
impressionistischen Verschwommenheit der Hybridität. Und das glaube ich eher. Serge Le Goff ist auf der Suche.
Eine
Entwicklung zieht sich konsequent durch all seine Aktionen und Ausstellungen durch. Es wird immer differenzierter,
nuancierter, auch wenn gelegentlich Computer dabei zu Bruch gehen. Schwarzlicht, die negative Dialektik des Serge Le
Goff ist auch eine Konstante bei ihm.
Ausschnitt aus der Rede von Dr. Seddik Bibouche anlässlich der Ausstellung Schwarzlicht in der Shedhalle Tübingen vom 09.01- - 24.01.2004
Man kennt ihn in Tübingens Kunstszene, und auch auf der Straße fällt er auf: Serge Le Goff, gebürtiger Franzose, der seit nunmehr über 30 Jahren in Deutschland lebt und bis zum Ende des Jahres 2010 im Kunstamt in der Doblerstrasse 21 den »Tresorraum für Elektrische Kunst« leitete. Theaterpädagoge Volker Schubert und Dramaturg Armin Breidenbach befragten ihn zu seinem Rückzug.
Armin Breidenbach //Was hast Du hier im Kunstamt gemacht?
Serge Le Goff //Ich habe dort denehemaligen Archivraum des Landratsamtes gemietet. So ein Raum ist für mich natürlich phantastisch: keine Fenster, keine Luft, eine 40 cm dicke Betonmauer mit einer eineinhalb Tonnen schweren Tür. Er ist sozusagen ein Traum. Ich habe hier persönlich nur eine RetrospektiveAusstellung gehabt im Januar 2009 mit meinen Sachen aus den 80er und frühen 90er Jahren: Bilder mit Neonfarbe und Schwarzlicht. Damals habe ich mich damit in der Avantgarde bewegt, jetzt ist das völlig in der Gegenwart angekommen. Dann habe ich dort eine Galerie gegründet: denTübinger Tresorraum für Elektrische Kunst.Ich habe Künstler eingeladen, die Experimentalkunst machen, die mit Licht, Strom und außergewöhnlichen Materialien arbeiten. So etwas kann man nicht in einer verkaufsgebundenen Galerie zeigen, deshalb befinden sich viele in diesem Bereich tätigen Künstler in einer Art Ausstellungsnot, weil es einen Mangel an Räumlichkeiten gibt. Daher habe ich den Tresorraum dieser sehr speziellen Sparte von Arbeiten gewidmet.
A. B. //Und warum ziehst Du Dich jetzt zurück?
S. L. //Die Miete meines Ateliers in Weilheim steigt. Das ist der banalere Grund. Der andere ist, dass ich durch diese Galeristenaktivität die Arbeit von Kollegen präsentiert habe und deshalb selber keine Zeit mehr für meine eigenen Kunstprojekte gefunden habe. Es war spannend und interessant, die andere Seite des Kunstgeschäfts zu erleben. Jetzt will ich wieder aktiv sein.
A. B. //Thema unserer Zeitschrift ist das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft. Nun musst du dich als Künstler immer auch in der Öffentlichkeit positionieren. Deshalb würde uns natürlich interessieren, inwiefern und wie gut Du bzw. Ihr hier Öffentlichkeit erreicht habt.
S. L. . // Ab und zu eine kleine Provokation weckt die Medien, sorgt für Schlagzeilen und pflegt den Ruf. Aber es ist nicht mehr so leicht wie früher, in die Presse zu kommen, Qualität ist gefragt, gerade als Künstler braucht man die Presse natürlich, denn ohne Öffentlichkeit kein Publikum. Denn ich persönlich arbeite nicht für mich, sondern für das Publikum – und ohne Publikum gibt es keine Kunst. Der Zeitungsartikel ist auch ein Beweismittel dass man gearbeitet hat, deshalb wichtig für den Lebenslauf. Es ist oft eine harte Arbeit, eine Kritik in der Zeitung zu bekommen. Ich bin sehr zufrieden mit den Medien und der Resonanz meiner Arbeit in der Öffentlichkeit.
A. B. //Wenn Du sowieso immer auch für Publikum arbeitest, inwieweit musst Du Kompromisse eingehen?
S. L. . //Ich bin immer gleich geblieben und habe mich dabei weiterentwickelt. Natürlich bin ich nicht mehr so chaotisch wie früher. Aber ich musste nie Kompromisse machen.
Volker Schubert //Wie würdest Du beschreiben, was deine Sachen bei den Zuschauern auslöst? Eher positive Resonanz, oder vielleicht doch eher Kritik? Was ist für Dich erstrebenswert?
S. L. . //Das Publikum ist für mich absolut wichtig. Wenn jemand meine Sachen anschaut und »Wow!« sagt, dann ist das schön. Wenn jemand kommt und »Bäh, was für ein Scheiß!« sagt, dann ist das auch gut. Diese Reaktionen sind für mich gleichwertig. Wenn jemand aber auch noch sagen kann, warum er es gut oder schlecht findet, das ist für mich dann wertvoll. Diese Analyse, die Diskussion und Anregung, Denkanstöße – das sind die Dinge, die ich mir vom Publikum erwarte und erhoffe.
V. S. //Inwieweit muss sich Deine Kunst verkaufen?
S. L. . //(überlegt) Das ist ein Fremdwort. Das Problem des Verkaufens stellt sich für mich ohnehin nicht, da ich nur schwer verkäufliche Werke produziere. Es sind viele Installationen. Früher habe ich Objekte mit Neonfarbe gemacht. Das Problem dabei war, dass Leute gesagt haben: »Ach, was Sie machen, ist schön. Es ist phantastisch, aber wissen Sie: Es ist Kunst fürs Museum oder eine Galerie, aber nicht für mich zuhause. Es passt nicht zum Teppichboden«
V. S. //Du bist ja als Soldat gekommen. Das finde ich insofern interessant, als dass Du quasi in einem Kollektiv hierher kamst, Dich individualisiert hast und dich dann wiederum sehr für Vernetzung engagiert hast. Jetzt vereinzelst Du Dich wieder, weil Du merkst, dass es Dir an die Substanz geht. Wie würdest Du diesen Prozess beschreiben?
S. L. . //Als ich 1974 nach Deutschland gekommen bin, war ich in der Soldatenbewegung der französischen Armee im Freiburg. Das war eine Bewegung für mehr Soldatenrechte. Die Offiziere haben mehr oder weniger gewusst, wer sich dort engagiert hat, nur die Beweise haben gefehlt. Und irgendwann hat ein Offizier von mir etwas verlangt, das nicht zu meinem Arbeitsbereich gehörte: Er wollte dass ich, als Fahrschullehrer, einen LKW wasche. Das habe ich abgelehnt. Daraufhin hat er Theater gemacht, bis ich zu ihm gesagt habe: »Hör auf mit dem Scheiß.« Dass ich gesagt habe, dass ein Offizier »Scheiß« macht, war dann der Anlass für meine Strafversetzung nach Tübingen.
V. S. //Du bist also eigentlich strafversetzt worden, weil Du Dich für Deine Kollegen und mehr Rechte engagiert hast?
S. L. . //Ja. Aber es war auch mein großes Glück. Die ersten zehn Tag habe ich in Einzelarrest verbracht, aber nach der Entlassung wurde ich sofort von anderen Soldaten kontaktiert, sie hatten gute Kontakte mit den politisch linken Studenten; da habe ich meine erste Freundin kennengelernt und ich bin hier geblieben.
A. B. //Und hast Du dann mit Kunst angefangen?
S. L. . //Erst später. Zur Kunst bin ich auch eher durch Zufall gekommen: Wenn jemand Dich fragt, was Du machst und Du antwortest »Nichts«, dann ist das schlecht – wenn Du aber sagst »Ich bin Künstler«, dann ist alles O.K. und Du kannst den ganzen Tag rumsitzen und nichts tun. Aber irgendwann habe ich was gemacht das in diese Schublade passt - ich wollte zuerst die Künstler verarschen, aber ich wurde selber verarscht weil man mich ernst genommen hat.
A. B. //Mittlerweile hast du selbst ein Atelier und probierst verschiedene Sachen aus. Das Label »Künstler« hast Du doch gern angenommen, oder?
S. L. . //Ich habe nie gesagt, dass ich ein Künstler sei, die anderen haben das immer gesagt. Und ich war auch früher ganz praktisch für die Praktikanten beim Tagblatt: Immer, wenn ich etwas gemacht habe, hat man einen vorbeigeschickt. Denn damals habe ich Aktionen in der „sauren Gurken Zeit“ gemacht. Die Tübinger Chronik war froh etwas zu schreiben zu haben. Sie hatten auch kein anderes Wort als „Künstler“ um mich zu beschreiben. Deswegen bin ich ein pures Presseprodukt.
V. S. //Das klingt jetzt erst mal nicht so, dass man denken würde, dass Du Dich für Künstler in Tübingen engagierst. Zum einen siehst Du Dich selbst gar nicht als Künstler, zum anderen hat es Dir sogar Spaß gemacht, sie zu verarschen. Wie kam es da zu Deinem späteren Engagement?
S. L. . //Nach und nach habe ich verstanden, welche Probleme das Künstlerleben mit sich bringt. Wenn ich in Frankreich geblieben wäre, wäre ich vielleicht Lehrer oder Schriftsteller geworden, hier habe ich die Faszination der Künstlerarbeit kennengelernt. Du bist produktiv, Du machst Dinge, aber gleichzeitig bist Du der einzige, der zahlen muss, um arbeiten zu dürfen. Ich habe gesehen, wie die anderen Kollegen es schwer haben, und dachte, dann sollte man doch gemeinsam kämpfen.
V. S. //Wir haben jetzt schon über Öffentlichkeit und über Zusammenschluss gesprochen – inwieweit braucht Kunst Deiner Meinung nach eine Art Schutzraum, in dem sie sich entwickeln kann, bis sie sich der Öffentlichkeit stellt?
S. L. . //Was man tatsächlich braucht, ist die Möglichkeit zu arbeiten, und das bedeutet letztlich Raum und Finanzierung. z.B für 90% der Künstler ist Raummangel ein sehr großes Problem. In Tübingen sieht man das beispielsweise bei den Musikern, bei denen eine absolute Not an Proberäumen herrscht. Nur 2% der Absolventen der Kunstakademie können von Kunst leben. Wenn ein Künstler in die Fabrik gehen muss um sein Brot zu verdienen, ist es eine Form von Selbstmord. Man lebt leider nicht von der Kunst - man lebt für die Kunst.
V.S. //Du hast jetzt beschrieben, was es für Mittel braucht, um erst mal in Ruhe zu arbeiten. Aber was passiert, wenn die Öffentlichkeit ins Spiel kommt? Ich habe mal einen Filmbericht über Kreativität gesehen, in dem auch beschrieben wurde, warum es Künstler so schwer haben. Eine amerikanische Forscherin sagte, es läge daran, dass 95% der Menschen ihre angeborene Kreativität einfach verlernten. Und wenn sie dann Menschen begegneten, bei denen dieser Domestizierungsprozess »schief gegangen« sei, fühlten sie sich bedroht, weil es sie an das erinnere, was sie verloren hätten. Und dann zerrten sie so lange an den Künstlern rum, bis die genauso resigniert und angepasst seien wie sie selbst. Die Künstlerexistenz könnten sie nur ertragen, wenn der Künstler arm und ungeachtet ist, er erst posthum zu Ruhm kommt. Nur ein toter und armer Künstler ist ein guter Künstler. Erst, wenn er tot ist, setzt man ihm ein Denkmal und damit dann auch seiner eigenen beerdigten Kreativität, die man darin verehrt. Würdest Du das auch so sehen?
S.L. // Ich verstehe das so: Der Künstler irritiert weil er ein Narr und ein Ästhet ist und dadurch der christlichen Moral (dieser „Domestizierungsprozess“) widerspricht. Deshalb muss er „gekreuzigt“ werden. Das Wort „Kunst“ passt nicht mit dem Wort „Reichtum“ zusammen, weil es nicht mit dem Wort“Arbeit“ verbunden ist. Ein reicher Künstler ist also suspekt weil bei ihm das Wort „Geld“ mit dem Wort „Sünde“ korrespondiert. Unsere seriöse Gesellschaft will, dass nur der Tod Wert und Verehrung bringt. Pfui Teufel. Dabei wäre es doch schön, wenn jeder ein glücklicher Künstler wäre und mit Genuss seine angeborene Sinnlichkeit und Kreativität erlebte.
V. S. //Du sagst, Du bist nicht verbittert, sondern es war eine rationale und finanzielle Entscheidung, Dich nicht länger im Kunstamt zu engagieren. Du gibst es nicht im Groll auf?
S. L. //Gar nicht, nein. Das Kunstamt war für mich ein guter experimenteller Platz, solche Orte braucht man immer und überall. Nur eine Kleinigkeit hat mir gefehlt: Wir sind hier nur alte Leute, nur Maler. Hier fehlte frisches Blut aus anderen Bereichen. Ein Generationenaustausch - Technik und Ideen - wäre fantastisch gewesen.
V. S. //Was sind Deine nächsten Pläne?
S. L. //Ich wurde gerade von den Organisatoren der Kulturnacht Reutlingen kontaktiert, um dort eine Lichtinstallation zu machen. Und ich werde versuchen, Kunstprojekte außerhalb Tübingens zu finden, aber gleichzeitig meine guten Kontakte und die Vernetzung hier zu pflegen. Ich möchte auch gerne mit anderen Leuten zusammen Projekte entwickeln. Das war für mich immer das Schönste, wenn ich mit Leuten aus verschiedenen Branchen zusammengearbeitet habe.
V. S./A. B. //Herzlichen Dank.